Gegen die Krise der Menschlichkeit

Ein Kommentar von Bernhard Schüßler

Vielleicht fällt es schwer, in diesen Zeiten den Blick von der Corona-Krise abzuwenden. Am heutigen internationalen Tag gegen Rassismus aber ist es nötig, uns einer anderen Krise zuzuwenden. Einer Krise, die schleichend eskaliert und immer noch zu wenig Beachtung findet.

Vor etwa 9 Monaten war ich bei einer Kundgebung gegen Rechte Gewalt in München. Walter Lübke war gerade ermordet worden und weite Teile der Politprominenz verurteilten die Tat scharf. Trotzdem waren kaum mehr als 100 Leute da. Damals äußerte ich noch den frommen Wunsch, dass eine solche Tat sich niemals wiederholen darf. Dann kam Halle; dann kam Hanau…

Seit der Wiedervereinigung sind über 200 Menschen, meist mit nicht-biodeutschem Aussehen, dem Rechtsterrorismus zum Opfer gefallen. Das Aufkommen der AFD hat eine gefährliche Mischung von Neofaschismus, völkischem Denken und Rassismus in die Gesellschaft getragen und diese verändert. In den letzten Jahren mehren sich die Fälle knapp vereitelter Anschläge von Rechts. Da gab es einen Bundeswehrsoldaten, der sich als Syrischer Flüchtling ausgab, um Anschläge zu begehen. Ausgehobene Terrorzellen wie „Old-school-society“, „Revolution-Chemnitz“, die sog. „Gruppe-Freital“ oder grade eben die Gruppe „S“. Polizisten auf Pegida-Demos, die sich offen zu den Demonstranten bekennen oder ein Fax an eine Anwältin, die im NSU-Prozess beteiligt ist, das Morddrohungen enthält, mit „NSU 2.0“ unterschrieben war und deren Absender in der Hessischen Polizei tätig sind, sind keine Zufälle. Unzählige Todeslisten Rechtsextremistischer Attentäter zeigen, dass die Gefahr auch für Politiker*innen konkret geworden ist. Die AFD agiert mittlerweile als parlamentarischer Arm einer Neuen Rechten, die ein Mischmasch an Weltanschauungen und autoritären Ideologien vereint.

Dabei scheint die Regierung es immer noch nicht zu verstehen. Es hat Jahre unermüdlichen Kampfes gebraucht, damit die Bayerische Staatsregierung das Attentat am OEZ als rassistische Tat anerkannt hat. Noch immer hören wir von Politiker*innen der sog. „bürgerlichen Mitte“ keine einzige Verurteilung von rechter Gewalt, ohne im gleichen Atemzug den Linksextremismus anzuprangern. Es ist diese fehlende Abgrenzung v.a. der Union, die den meisten Menschen Angst macht. Sie machen eine Ideologie salonfähig, die wir nur aus Geschichtsbüchern kennen sollten und nicht aus den Straßen oder den Parlamenten. Mit der Aktion von FDP und CDU in Thüringen, ist der Dammbruch geschehen, der sich nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt wiederholen könnte. Dort flirten CDU-Abgeordnete offen und regelmäßig mit der AFD und wollen mit ihnen koalieren.

Die Zivilgesellschaft hat die Gefahr erkannt. In Großdemonstrationen wie Ausgehetzt oder #Unteilbar, habe auch ich Hoffnung geschöpft, dass der Hass zurückgedrängt werden könnte. Umso absurder ist es, dass genau kleine NGOs, die sich v.a. im ländlichen Raum Ostdeutschlands gegen Rechts engagieren, Budgetkürzungen hinnehmen müssen. Wir müssen alle im Alltag gegen Rassismus und Hetze einstehen, auch wenn es unbequem ist. Demokratie lebt von Zivilcourage gegen Antidemokraten und wir können uns eine „schweigende Mehrheit“ nicht leisten. Wir müssen endlich kapieren, dass wer kein Faschist ist, Antifaschist sein muss und wir müssen diejenigen schützen, die sich jeden Tag fürchten: vor einer Beschimpfung aufgrund der Hautfarbe; vor Prügel wegen der Kopfbedeckung. Die täglichen Opfer des Hasses schweigen und wir beachten sie kaum, weil sie meist Minderheiten sind. Diese Rücksichtslosigkeit und der „Rassismus der Mitte“ müssen ein Ende haben. Deutschland ist längst ein Einwanderungsland; wir sind pluralistisch in Herkunft, Glauben, Aussehen und Ansichten; zu dieser Gesellschaft zu gehören, hängt nicht von Pass oder der Geburtsurkunde, ab sondern davon, ob man die Werte von Freiheit, Demokratie und Menschenwürde teilt und verteidigt.

Rassismus ist ein Gift, das unsere Gesellschaft zu spalten versucht. Lasst uns dieses Gift mit Solidarität und Zusammenhalt besiegen. Dialog statt Diskriminierung, Begegnung statt Beschimpfung ist die Divise für unser Land und die ganze Welt.

Und wer weiss, vielleicht kann ich dann nächstes Jahr einen etwas positiveren Artikel schreiben.

 

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