Ein Kommentar von Johannes Rohleder (Kreisrat) und Bernhard Schüßler (Mitglied im Vorstand der Grünen Unterschleißheim)
Die Corona-Krise zeigt uns auf einer unnachgiebigen und warnenden Art und Weise unsere sozialpolitischen Versäumnisse der letzten Jahre auf.
Jahrelange Einsparungen im Bildungssystem führen nun einmal auch zu maroden Schulgebäuden. Wenn wir während einer globalen Gesundheitskrise dann aber von Hygieneplänen für den Schulbetrieb sprechen, ist Schüler*innen und Lehrer*innen wahrscheinlich nicht mehr zum Lachen zumute. Wenn Seife und Warmwasser schon Luxus, Toiletten verschmutzt und Papiertücher Mangelware sind. Da ist jede Verzweiflung bezüglich eines Hygieneplans, die sich in jedem Direktor*innenbüro in der letzten Zeit wahrscheinlich breit gemacht hat, wohl mehr als verständlich.
Doch Corona macht uns in diesen Tagen auf noch mehr Baustellen im Bildungssystem aufmerksam. Wie in fast allen sozialen Berufen, herrscht auch hier Fachkräftemangel, viele können aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Hochrisikoklientel aktuell nicht in den Schulbetrieb zurück. Ärgerlicherweise haben wir auch noch eine wirkliche Digitalisierung verpasst. Glasfaserausbau? – Fehlanzeige! Homeschooling sorgt einmal mehr dafür, dass die Bildungsungleichheit größer wird.
Die Forderung unseres Kultusministers Piazolo, kein Kind solle durch Corona benachteiligt werden, bleibt ein frommer Wunsch, die Realität sieht ganz anders aus.
Umso mehr schockiert die Idee der Freien Wähler: ein soziales Jahr für alle jungen Menschen und zwar verpflichtend! Abgesehen davon, dass dieser Vorschlag absolut jugendfeindlich ist, zwingt man ja auch nicht jede*n Rentner*in das erste Rentenjahr Sozialdienst abzuleisten. Sollen die jungen Menschen jetzt ernsthaft für unsere jahrelangen Versäumnisse in der Sozialbranche büßen? Die Idee mag zwar charmant klingen, aber die jungen Menschen werden den Betrieben auch nicht erhalten bleiben, wenn die Arbeitsbedingungen auch in Zukunft so miserabel sind. Den Fachkräftemangel haben wir nämlich vor allem deswegen. Und solange wir dort nichts ändern, sehen viele junge Menschen wahrscheinlich eher Berufe, die sie zwar schön finden mögen, aber sich doch dagegen entscheiden, eben weil die Bedingungen und die Bezahlung so schlecht ist. Übrigens, wurde der früher zum Wehrdienst alternative Sozialdienst dafür genutzt, Personallücken zu stopfen und die Löhne für regulär angestelltes Personal künstlich niedrig zu halten.
Stattdessen müssen die Angebote des freiwilligen sozialen Jahres attraktiver, erweitert und besser bezahlt werden. So wäre den jungen Erwachsenen und den sozialen Berufen mehr geholfen, als mit Vorschlägen, die an den Symptomen statt an den Problemursachen ansetzen.
Die Corona-Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die nicht mit undurchdachten Maßnahmen oder Sozialabbau beantwortet werden kann. Setzen wir stattdessen neue Maßstäbe für eine Gesellschaft, die soziale Berufe und Tätigkeiten besser entlohnt und wertschätzt.
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