Warum wir Krisen unterschiedlich bewerten
Ein Kommentar von Bernhard Schüßler
Die Corona-Krise bestimmt die letzten Wochen und das Ende ist nicht absehbar. Ständig erhalte ich Nachrichten mit Appellen unterschiedlichster Leute, die Auffordern, die Einschränkungen zu respektieren und ihnen Folge zu leisten. Mit jedem Tag steigender Infektionszahlen, werden die Unverbesserlichen weniger. Der Druck scheint einfach zu groß.
Das Problem des Corona-Virus wird als dringend wahrgenommen, als „größte Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg“, wie man oft hört. Politiker*innen und Prominente, hier beispielhaft Markus Söder, sprechen von einem „Charaktertest für die gesamte Gesellschaft“. Dauernd wird an die Verantwortung jedes Einzelnen appelliert.
Erinnert diese Situation an etwas? Genau, die Klimakrise. Sie ist ebenso eine globale Herausforderung, die jede*n betrifft und für dessen Bekämpfung, wir unseren Alltag verändern müssten. Nur tut es keine*r; wir wehren uns mit Händen und Füßen gegen die logischen Konsequenzen aus der Klimakrise, nämlich einer drastischen Umstellung unseres Konsums, unserer Wirtschaftsform und unseres Lifestyles.
Warum ist das so? Feststeht, um eine Krise zu lösen, braucht es ein Krisenbewusstsein. Dieses wächst mit jedem Tag stetig steigender Corona-Fälle und der tausendsten Wiederholung der abflachenden und sich streckenden Infektionsfunktion, die als Ziel und Lösung in den Medien gepriesen wird. Dieses Krisenbewusstsein fehlte in den Weltregionen, in denen es darauf ankommt, nämlich den mächtigen Industriestaaten, bis vor Kurzem völlig. Mit der Klimabewegung, den FFF Demonstrationen und den Dürresommern der letzten Jahre, ist das Problem an die Tagesordnung gerückt. Oder war? Es steht zu befürchten, dass die Folgen der Corona-Krise zu einem Rückfall im klimapolitischen Denken führen. Längst ist die Rede von einer drohenden Wirtschaftskrise, die es mit vielen staatlichen Geldern zu verhindern gelte. Kein*e kommt auf die Idee, diese Wirtschaftshilfen für eine klimafreundliche Wirtschaftswende zu nutzen. Es macht jetzt keinen Sinn, Braunkohle zu subventionieren.
Währenddessen, hat der Virus an sich eine enorm positive Klimawirkung. Die durch Corona verursachten Produktionsstopps, Flugabsagen und Lieferengpässe haben mehr CO2-Emissionen eingespart als die gesamten politischen Anstrengungen der Regierungen. Das ist ein Armutszeugnis für die Menschheit. Übrigens, die Emissionskurve unterscheidet sich kaum von der in den Medien angepriesenen Infektionskurve. Der einzige Unterschied ist, dass wir bei den Emissionen bereits den kritischen Punkt überstiegen haben. Jahrzehnte lang hätten wir unsere Emissionen sanft reduzieren können, um kontinuierliche Veränderungen zu bewirken. Stattdessen sind sie ins Unermessliche gestiegen. Jetzt sind die notwendigen Reduktionen umso schmerzhafter.
Man könnte sagen, unser Umgang mit der Klimakrise zeigt, was bei unverantwortlichem Handeln auch im Zusammenhang mit dem Corona-Virus geschehen kann. Nur dass ein Anstieg der Corona-Infizierten unser Gesundheitssystem gefährdet, keine Drosselung der Emissionen hingegen die Menschheit bedroht.
Doch um nicht zu pessimistisch zu schließen, wir sollten aus Corona für die Klimakrise lernen. Junge Menschen helfen älteren beim Einkauf, es entsteht eine Solidarität, die uns im kapitalistischen Alltag abhanden gegangen war. Genau das brauchen wir, um die Klimakrise zu bekämpfen, eine neue Form der Solidarität, sowohl zwischen Menschen als auch zwischen den Staaten. Daran sollten wir denken, nachdem wir die Corona-Krise überwunden haben.
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