Wer sich über die Nachricht wundert oder empört, dass für die Neue Stadtmitte viele, sehr viele Bäume fallen werden, der oder die tut das zurecht. Wie kann es dazu noch kommen – angesichts der galoppierenden Klimakrise und der nötigen Anpassung unserer Städte? Die kurze Antwort: Planungsrecht und -Praxis sind dafür noch nicht reif, der ökonomische Druck zu stark und das Bewusstsein der Beteiligten ausbaubar.
Die lange Antwort beginnt 2019 bei der Auslobung des Städtebaulichen Wettbewerbs für die Neue Mitte. Im Vordergrund standen Geschoßflächen, deren Aufteilung auf Wohnen und Gewerbe, Maximalhöhen und Tiefgaragen, gewiss auch die Ästhetik und Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums. Auf den Entwürfen prangte viel Grün, scheinbar die Bestandsbäume.
Dann wurde gekürt, diskutiert, modifiziert und schließlich ein Bebauungsplan entwickelt. Auf den gravierenden Baumverlust wurden aber weder die Bürger bei der Infoveranstaltung, noch der Stadtrat bei späteren Beratungen hingewiesen.
Verdacht hätte nur geschöpft, wer die Pläne präzise mit aktuellen Luftbildern überlagert hätte. Erst im Juni 2024 erschien im Umweltbericht ein Bestandsplan, auf dem sich die roten Kringel nur so drängten: je einer für eine Fällung. Markiert waren insgesamt 144 Bäume, mit Stammumfängen über 40 Zentimeter. Später kamen wegen einer Kanalverlegung vier weitere Fällungen hinzu. Aber da war es schon zu spät.
Denn ist der Bebauungsplan erst einmal im Verfahren, gibt es kein Zurück. Da mögen Landratsamt oder der Bund Naturschutz noch so entschieden protestieren; Änderungen wie die Verschiebung der Baulinie um ein paar Meter sind dann zu teuer, zu zeitraubend, technisch problematisch oder mit den Grundzügen der Planung, sprich: den Vorstellungen des Investors nicht vereinbar. Das nennt sich dann Sachzwang.
So fügt sich die Neue Stadtmitte in eine unselige Reihe: Für die FOS/BOS und Wohnblocks wurde uralter Eichenwald geopfert, für das Koryfeum der Lärmschutzwall an der Landshuter Straße „verschoben“, für die Michael Ende Schule der Schutzwall am Münchner Ring geschliffen – und nun der grüne Saum des IAZ.
Zugleich hinkt Unterschleißheim mit den Ersatzpflanzungen chronisch hinterher. Händeringend wird nach Standorten gesucht. Gelingt es wie Anfang 2024, gerade einmal 77 neue Bäume in bestehende Grünflächen zu pflanzen, gilt das fast als Großtat. Gewiss kann man bei Großprojekten nicht jeden Baum oder Strauch verschonen. Es kommt aber auf Quantität und Qualität an. Alte Bäume haben über Jahrzehnte nicht nur ihren Dienst geleistet, sondern massiv gesteigert: Eine sogenannte Ersatzpflanzung ersetzt nur etwa ein Zehntel der Leistungen eines 60 Jahre alten Baums.
Früher gab es offenbar mehr Verständnis für die fundamentale Rolle des Stadtgrüns. Stattliche Alleen, üppige Grünzüge und Parks, baumgeprägte Straßen, Plätze und Innenhöfe – was wir in manchen alten Stadtquartieren bewundern, wäre undenkbar ohne die Weitsicht und Intuition früherer Stadtbaumeister.
Heute verfügen wir über deutlich fundiertere Kenntnisse über die vielfältigen ökologischen Funktionen und Wohlfahrtswirkungen von Stadtgrün. Da sollte es selbstverständlich sein, alte Stadtbäume als harte Infrastruktur anzuerkennen: so wichtig wie Straßen, Strom- oder Wasserversorgung. Sie gehören auf den Plan – von Anfang an.
Tino Schlagintweit, Umwelt- und Verkehrsreferent, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN




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