Ein persönlicher Bericht von Markus Wutzke zum digitalen Parteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich war als Delegierter am Wochenende vom 20. bis 22. November beim ersten digitalen Parteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dabei. Wir haben unser viertes Grundsatzprogramm verabschiedet. Es wurde seit 2018 in 400 Veranstaltungen von mehreren tausend Personen erarbeitet und der finale Entwurf auf diesem Parteitag mit insgesamt 1.300 Änderungsanträgen diskutiert und finalisiert.
Das Motto des Parteitags war: Jede Zeit hat ihre Farbe. Ein Motto, mit dem ich mich sehr identifizieren kann. 2009 war meine Farbe noch orange, die Farbe der Piratenpartei. Als Informatiker wurde ich durch das sogenannte Zensursula Gesetz politisiert. Die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen wollte ein Internet-Sperren-Gesetz einbringen, um den Zugang zu strafbaren Inhalten, insbesondere Kinderpornografie zu erschweren. Ein kluger Schachzug, um Kritiker, die den Aufbau einer Zensurinfrastruktur befürchteten, leicht in einem Atemzug mit Kinderschändern diskreditieren zu können. Als IT-Experte wusste ich, dass Kindesmissbrauch mit den geplanten Sperrlisten nicht effektiv bekämpft werden konnte. Ginge es wirklich darum, müssten die Betreiber der Server mit den Mitteln des Rechtsstaats belangt werden. Dafür wäre eine bessere Ausstattung und mehr Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden notwendig, um die Anbieter und Produzenten effektiv verfolgen zu können. Ich hatte das Vertrauen in die Politik verloren, die richtigen Maßnahmen zu beschließen, und wurde Mitglied der Piratenpartei. Ich dachte, dass nur eine neue Partei die notwendigen Antworten auf eine moderne Zeit geben konnte. Trotz einiger Erfolge in Länderparlamenten, scheiterte die Piratenpartei zweimal mit dem Einzug in den Bundestag. An Silvester 2015 beschloss ich aus der Piratenpartei auszutreten. Ich kam zum Schluss, dass es nicht sinnvoll sei, eine kleine Partei zu unterstützen, die so viel Aufwand damit zubringen musste, die notwendigen Strukturen zu schaffen, so dass die eigentliche politische Arbeit viel zu kurz kam und etliche talentierte Mitglieder ausgebrannt die Partei verließen. Ich traf die Entscheidung meine politischen Standpunkte in die etablierten Parteien einzubringen.
Meine politische Heimat
Ich suchte nach einer Partei, die es bereits geschafft hatte, sich auf allen Ebenen von den Kommunalparlamenten über den Bundestag bis hin zum Europaparlament zu etablieren. Eine Partei, die etwas bewirken konnte. Die größte Übereinstimmung mit meinen politischen Zielen sah ich bei den Grünen. Eine Partei, die sich basisdemokratisch, progressiv, diskussionsfreudig und offen für neue Ideen zeigte und deren Mitglieder und Politiker*innen mit Herz und Leidenschaft für ihre Überzeugungen kämpften. Ich war nicht der einzige. In den letzten 5 Jahren sind die Mitgliederzahlen rasant auf mittlerweile über 100.000 gestiegen. Immer mehr Menschen bringen sich aktiv in die Politik ein, weil sie wissen, dass sich etwas verändern muss.
Jetzt im Corona Jahr 2020 bin ich mir absolut sicher: Die Farbe meiner Zeit ist definitiv grün. In den vielen parteipolitischen Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen durfte, hatte ich bereits so viel über die Klimakrise erfahren, dass für mich klar ist, dass wir in diesem Jahrzehnt die großen Veränderungen angehen müssen. Die diesjährige Corona-Pandemie ist nur der Vorgeschmack auf das was kommen kann, wenn wir nicht endlich beginnen die notwendige Vorsorge zu treffen, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Jede Zeit hat ihre Aufgabe
Robert Habeck erklärte in seiner politischen Rede auf dem Parteitag, dass in den letzten Jahren der Wohlstand gewachsen sei, nicht für alle, aber doch für viele Menschen. Ich selbst hatte dieses Glück. Ich konnte studieren und mit meinem Informatikstudium genau dort einen Beruf finden, wo hohe Gehälter bezahlt werden. Mit Unterstützung meiner Eltern konnte ich mir noch ein Haus für meine Familie in Unterschleißheim leisten, bevor die Immobilienpreise explodierten. Aber ich weiß, dass dieser Wohlstand einhergeht, mit der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, und nicht gerecht verteilt ist, sondern noch immer maßgeblich von den Rahmenbedingungen abhängt, in die man hinein geboren wird. In unserem Grundsatzprogramm steht:
Jede Zeit hat ihre Aufgabe. Die Aufgabe unserer Zeit ist, eine krisenfeste Gesellschaft demokratisch und nachhaltig zu gestalten. Dazu sind Wohlstand im Sinne von Klimaneutralität, Vorsorge und Gerechtigkeit sowie globaler Verantwortung neu zu definieren und die Politik ist darauf auszurichten.
In ihrer politischen Rede fordert Annalena Baerbock deshalb eine sozial-ökologische Marktwirtschaft. Eine Gesellschaft ist dann sozial, wenn Wohlstand, Ressourcen und Macht gerecht verteilt sind. Gleichzeitig darf unser Handeln nicht weiter die ökologischen Belastungsgrenzen überschreiten. Unsere Umwelt zu schützen und zu erhalten, ist Voraussetzung für ein Leben in Würde und Freiheit. Das Wissen um die planetaren Grenzen ist Leitlinie unserer Politik.
Wir wollen regieren
Der hohe Mitgliederzuwachs und die guten Umfrageergebnisse bestärken uns darin, dass die Menschen von uns erwarten, dass wir Regierungsverantwortung übernehmen. Unser neues Grundsatzprogramm schafft dafür die Klarheit in unseren Zielen. Wir wissen, dass allein mit Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse, die notwendigen Veränderungen nicht eingeleitet werden können. Denn die Menschen begegnen Veränderungen oft mit Sorge und Ablehnung. Winfried Kretschmann betont in seinem Gastbeitrag, dass Führung bedeutet Orientierung zu bieten und Vertrauen zu schaffen. Deshalb reicht es nicht, nur auf das hinzuweisen, was aus wissenschaftlicher Sicht notwendig ist, sondern wir müssen attraktive Lösungen anbieten, die von einer Mehrheit getragen werden. Wir sind klar in unseren Zielen, aber offen in den Wegen dorthin. Wir sind bereit den steinigen Weg zu gehen, der von wissenschaftlicher Erkenntnis zu realer demokratischer Veränderung führt. Deshalb heißt es im Grundsatzprogramm:
Wir verstehen uns als Bündnispartei, die auf der Grundlage gemeinsamer Überzeugungen offen ist für unterschiedliche Erfahrungen, Vorstellungen und Ansätze. Sie orientiert sich nicht an der Summe einzelner Interessen oder einzelner Gruppen, sondern verbindet verschiedene Interessen zu einer gemeinsamen Vision für eine bessere Zukunft.
Deshalb hoffe ich, dass BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in 2021 das Vertrauen der Wähler*innen bei der Bundestagswahl erhält und mit einem starken Ergebnis unsere Ziele und Lösungen in den nächsten Koalitionsvertrag einfließen. Vor vier Jahren hätte es fast geklappt. Diesmal muss es klappen, damit wir endlich die dringend notwendigen Veränderungen beherzt und mutig auch auf Bundesebene angehen können.
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