Ein Kommentar von Bernhard Schüßler
Die Welt hält den Atem an. Mittlerweile hat sich das Corona-Virus auf der ganzen Welt verbreitet. Die USA und Italien haben mehr Erkrankungsfälle als China und die optimistischen Prognosen von vor wenigen Wochen, erscheinen heute mehr als naiv. Corona bestimmt unser Leben und wir wissen nicht, wie dieses nach überstandener Krise aussehen wird.
Denn die Corona-Pandemie verschärft und verursacht etliche Folgeprobleme, die noch selten in der Tagesschau zur Sprache kommen. Ich habe 5 große Themenkomplexe ausgemacht, die außer dem Gesundheitssektor aktuell starken Umbrüchen ausgesetzt sind.
Wirtschaft
Die drohende Wirtschaftskrise rückt mit voller Kraft in den Vordergrund des politischen Diskurses. Die schon schwächelnde Deutsche Wirtschaft wird durch Corona hart getroffen. Lieferketten kommen zum Erliegen so fehlen Rohstoffe für den verarbeitenden Sektor. Arbeitnehmer*innen dürfen seit Verhängung der Ausgangsbeschränkungen nur noch selten zur Arbeitsstätte. Wer in der Industrie arbeitet, hat oft Produktion und Arbeitszeit gedrosselt.
Die Politik spaltet sich entlang zweier Fragen, denn für die Wirtschaft steht viel auf dem Spiel. Zunächst ist die sogenannte Exitstrategie zu durchdenken. Also wann man die Beschränkungen wieder lockert, um der Wirtschaft Raum zu geben. Trump, Johnson und Bolsonaro haben die Wirtschaft lange Zeit als Vorschub dafür verwendet, keine Beschränkungen einzuführen, was die Fallzahlen ihrer Länder enorm erhöht hat, und dem Gesundheitssystem möglicherweise zum vorzeitigen Kollaps verhelfen wird. Andererseits steigen mit Dauer der Sperren, die Kosten für Unternehmen und somit die Gefahr für Arbeitnehmer*innen exponentiell. Auch in Deutschland versucht manch ein Branchenvertreter den Druck auf die Regierung zu erhöhen, um schnell zur Normalität übergehen zu können. Dabei sind sich Epidemiologen einig, dass es jetzt einen Hammer braucht d.h. eine „behördlich verfügte Teilabschaltung der Volkswirtschaft“ wie der Chef-Volkswirt des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Gabriel Felbermeier sagt. Dieser shutdown ist für 3 bis 5 Wochen notwendig, um anschließend langsam Lockerungen zu verordnen und eine Erholung der Wirtschaft in 2 Monaten einzuleiten. Eine überhastete Entspannung, würde diesen Prozess verzögern und der Wirtschaft noch viele Milliarden zusätzliche Kosten bereiten.
Volkswirte sind sich uneins, wie man im Zuge der Corona-Krise verfahren soll. Sie hat eine Wirtschaftskrise hervorgerufen, die sich gravierend von den letzten Krisen unterscheidet, denn aktuell erleben wir sowohl einen Angebots- als auch einen Nachfrageschock. Gleichzeitig sind es keine systemischen Probleme in der Wirtschaft, die zu dieser Krise geführt haben, sondern ein externer Effekt, der unerwartet entstand. Somit ist keine langwierige Rezessionsphase nach Ende der Pandemie zu erwarten, obwohl auch hier die kommenden Wochen entscheidend sind. Aktuell geben nur Indikatoren wie Energieverbrauch, die Zahl von Kurzarbeitsanträgen sowie die Nachfrage nach Emissionszertifikaten einen ungefähren Aufschluss über die ökonomische Lage im Land. Der Sachverständigenrat, d.h. die sog. 5 Wirtschaftsweisen haben 3 mögliche Szenarien durchgerechnet, wie sich Corona auf die Wirtschaft in Deutschland auswirken könnte. Das V-Szenario verspricht eine schnelle Erholung nach Aufhebung der Einschränkungen in wenigen Wochen. Das U-Szenario zeigt bereits eine gewisse Rezessionsphase an, ein sog. Konjunkturtal, bevor es wieder Bergauf geht. Das L-Szenario ist aktuell am unwahrscheinlichsten und am pessimistischsten, denn hier würde sich mittelfristig kein Wirtschaftswachstum mehr einstellen.
Mit diesen Prognosen, sind die Wirtschaftsweisen noch vergleichsweise optimistisch. Sie sagen einen BIP Rückgang von 2,9 bis knapp 6% voraus, während das Ifo-Institut von mindestens 5,1 bis zu schlimmstenfalls 20% Minus ausgeht.
Auch aufgrund der Ungewissheit und der Dringlichkeit der Krise, hat die Bundesregierung schnell gehandelt. Mit einer Nettoneuverschuldung von 156 MRD € im Nachtragshaushalt, hat sich die GroKo von der schwarzen 0 verabschiedet und scheint den Ernst der Lage erkannt zu haben.
Der Finanzminister, Olaf Scholz sprach von der Bazooka-Strategie, ein Begriff, den wir aus der Eurokrise bereits kennen. Diese Gelder sollen als Kredite jedem Unternehmen zur Verfügung stehen.
Außer Liquiditätshilfen, wurden noch 2 weitere Programme aufgesetzt. Einerseits erhalten Solo-Selbstständige und Kleinunternehmen bis zu 10 Angestellten, Zuschläge von 9 bzw. 15 Tausend € zur Krisenüberbrückung. Andererseits wurde für Großunternehmen ein sog. Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Höhe von 600 MRD € eingerichtet, wobei 100 MRD davon für staatliche Beteiligungen vorgesehen sind.
Das Geld liegt also bereit, aber es kommt nicht schnell genug an. Freiberufler und Kleinstbetriebe melden oft, dass sie nicht mit den bürokratischen Anträgen zurechtkommen. Der Mittelstand beklagt sich über fehlende Gelder für Krisenhilfen. Gleichzeitig halten die Hausbanken die Kredite der KfW Förderbank zurück, weil sie 10% der Kreditausfallrisiken selbst tragen müssen und aufgrund der Krise, Bonitäten kaum belastbar festzulegen sind. So verfehlen die Hilfsprogramme der Bundesregierung noch meist ihre Wirkung. Erfreulich ist, dass die EU-Kommission die Regelungen gelockert hat, um es Staaten zu erlauben, sogar 100% der Kreditrisiken zu übernehmen. Ob das aber im Gegenzug nicht zu anderen Problemen führt, ist ungewiss.
Klima
Stark von Corona beeinflusst ist aktuell auch unser Umgang mit der Klimakrise. Das dominierende Thema der letzten Monate ist medial weit in den Hintergrund gerückt. Dabei sind beide Krisen eng miteinander verbunden, ohne dass wir es auf den ersten Blick merken würden. Die Corona-Pandemie hat direkte Auswirkungen auf die globalen Emissionen, die aufgrund von Produktionsdrosselung, Flugverboten und Handelssperren enorm gesunken sind. Die Stickoxid-Messstellen haben in Berlin-Mitte für Ende März einen drastischen Rückgang um 72,1% NOX-Partikel nachgewiesen. Darüber freuen können wir uns aber nicht, denn die Reduktion an emittierten Klimagasen ist nicht nachhaltig also auf eine strukturelle Veränderung der politischen Rahmenbedingungen oder unseres persönlichen Verhaltens zurückzuführen.
Was viele in der Klimabewegung noch stärker umtreibt ist die Frage nach der Welt nach Corona. Die Zerstörung des Amazonas geht unvermindert weiter. Und schlimmer noch: Viele Präsidenten Südamerikas, allen voran Brasiliens Diktator Bolsonaro, haben angekündigt, nach Corona die Wälder noch schneller zerstören zu wollen, um Landwirtschaft und Bergbau ökonomisch unter die Arme zu greifen. Doch auch bei uns ist es nicht anders. Der Tschechische Premierminister forderte bereits eine Verschiebung des Europäischen Green-Deals aufgrund der Wirtschaftshilfen für Corona. In die gleiche Kerbe schlug die Polnische PIS, die den CO2-Zertifikatehandel abzuschaffen versuchte. Unlängst sprachen sich FDP und Teile der Union für eine Aussetzung der Erhöhung der Luftverkehrssteuer aus, ein wichtiger Teil des schon heute winzigen Klimapäckchens der Bundesregierung. Darüber hinaus wollten sie die Umsetzung der EU-Düngeverordnung verzögern und die Ausweitung des CO2-Preises auf den Wärme- und Verkehrssektor verzögern. Glücklicherweise wurden diese Forderungen nicht erhört, aber mit wachsendem Druck aus der Wirtschaft, wissen wir, wo die Regierung spart.
Wir müssen heute das Richtige tun und dabei an morgen denken. Wir können uns nicht leisten, den Grünen Strukturwandel um 1 oder 2 Jahre zu verzögern, dafür ist die Klimakrise zu akut. Die Krisenbekämpfung bei der Finanzkrise vor 12 Jahren war äußerst klimaschädlich z.B. durch die Abwrackprämie. Das Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft hat vor Kurzem eine Studie veröffentlicht, in der sie Möglichkeiten aufzeigen, wie man klimafördernd die Wirtschaft nach Corona wieder auf die Beine bringt. Zunächst muss verhindert werden, dass mit Wirtschaftsaufbau dem Klima geschadet wird d.h. besonders klimaschädliche Branchen dürfen nicht nur aufgrund von Corona staatlich gestützt und künstlich am Leben gehalten werden, wie es während der Finanzkrise mit den sog. Zombie-Banken geschehen ist. Außerdem bietet sich aufgrund der Talfahrt des Öl- und somit der Energiepreise an, deren klimaschädliche Subventionierung einzustellen, denn sie wird angesichts dieser niedrigen Preise fast obsolet. Der nächste Schritt laut FÖS muss das Zusammendenken von schnellem Wirtschaftsaufbau mit langfristigem Klimaschutz sein. Dafür schlagen sie in der Studie Maßnahmen wie Förderungen von energetischen Gebäudesanierungen, einer Aufhebung der Deckelungen für Solar und Windindustrie sowie einer ökologischen Steuerreform vor. So werden v.a. klimafreundliche Branchen für die Zukunft fit gemacht.
Umweltexperten, Ökonomen und die Politik sind sich im Großen und Ganzen darüber einig, dass die Soforthilfen bedingungslos vergeben werden sollten. Die Bundesregierung hat die Divise ausgegeben: Wer vor Corona nicht in wirtschaftlicher Not war, soll es nach Corona auch nicht sein. Über die darauffolgenden Konjunkturpakete scheiden sich allerdings die Geister. Das FÖS führt eine mögliche Kompromisslösung für manche Sektoren an, die den Konflikt beheben könnte. So würde beispielsweise die Luftfahrtbranche gestützt werden, falls sie höheren Anstrengungen zur Emissionsreduktion zustimmt. Ein Vorschlag der NGO Transport and Environment sieht vor, dass im Gegenzug für Staatshilfen, die lange geforderte Kerosinsteuer eingeführt wird. Darüber hinaus, lassen sich die Kriterien zur Kreditvergabe im WSF (Wirtschaftsstabilisierungsfonds) nach Umwelt- und Klimastandards umändern. Auch die verbindliche Einführung von CO2-Schattenpreisen könnte helfen, um besonders klimaschädliche Bereiche einer Branche oder eines Unternehmens auszumachen. Mit Schattenpreisen, werden die Unternehmensbilanzen mit dem CO2-Klimafaktor von 180€/t verrechnet, um die Klimawirkung der Produktion ersichtlich zu machen. Man sieht, es ist möglich beides unter einen Hut zu bringen, entscheidend ist nur der politische Wille der Regierung, diese auch umzusetzen.
Soziales
Besonders vielschichtig stellen sich die Folgen von Corona auf das soziale Gefüge dar. Durch die Quarantäne sind viele Menschen einsam und verunsichert, was auf Dauer starken Einfluss auf die Psyche ausüben kann. Diese Ausnahmesituation verändert tiefgreifend unseren Umgang miteinander. Einerseits freuen wir uns über die neue Solidarität, dass junge für alte einkaufen oder Mundschutze für Pflegekräfte und Patienten genäht werden. Andererseits gehören Hamsterkäufe leider zur Tagesordnung. Die Krise bringt beides in uns zum Vorschein, besondere Güte und Mitmenschlichkeit, aber auch Egoismus und Gewalt. Die Zahlen von Häuslicher Gewalt steigen. Durch die Ausgangsbeschränkungen ist es Sozialarbeiter*innen und dem Jugendamt kaum möglich, diesen Anstieg aufzuhalten. Der Schutzraum Wohnung wird zur Falle gewalttätiger Eheleute, Eltern oder Verwandter.
In Zeiten von Krisen, werden meist die Schwächsten vergessen. Obdachlose haben keine eigene Wohnung, um der Isolation Folge zu leisten, allerorts müssen Tafeln schließen, was gerade die Ärmsten insbesondere Rentner*innen trifft, die mittlerweile weit über die Hälfte der Tafelbesucher ausmachen. Die Situation der Geflüchteten in hiesigen Ankerzentren ist erbärmlich, die in den Griechischen Lagern menschenunwürdig. Man fragt sich oft wie derartig großes Leid verdrängt werden kann.
Und auch ökonomisch trifft es besonders die Benachteiligten Gruppen. Minijobber haben keinerlei Ansprüche auf Kurzarbeitergelder oder Grundsicherung. Die drastischen Kursverluste an den Börsen von bis zu 40% sind gerade für Menschen, die damit Altersvorsorge betreiben existenzbedrohend. Wir merken in dieser Notsituation, dass es nicht die Manager und Bänker sind, die wir im Alltag wirklich unbedingt brauchen, sondern dass v.a. die sozialen Berufe unentbehrlich sind. Umso wichtiger ist es, dass Erzieher*innen und Lehrer*innen, Kranken- und Altenpfleger*innen eine höhere Anerkennung für ihre Leistungen für die Gesellschaft erleben, nicht nur jetzt in der Krise und, dass sie besser bezahlt werden, denn sie halten die Zivilisation am Laufen. Das ist unschätzbar wertvoll für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.
Gravierend im Umbruch ist in den letzten Wochen auch die Bildung. Durch die Schulschließungen und der Verlagerung des Unterrichts auf digitale Kanäle, fehlt den Kindern und Jugendlichen der wichtigste soziale Interaktionsraum ihrer Routine. Im Homeschooling treten die Ungerechtigkeiten des Deutschen Schulsystems mit voller Wucht zutage. Kinder mit Akademikereltern werden daheim gefördert und behandeln den Lehrstoff, während Kinder aus bildungsfernen Familien möglicherweise auf der Strecke bleiben, weil die Eltern mit ihren prekären Anstellungen, genau in den Branchen arbeiten, in denen man nicht ohne Weiteres auf Homeoffice wechseln kann. Die fehlende Betreuung, die ausbleibende Hausaufgabenhilfe; das sind alles Aspekte, die das bekannte Problem des Deutschen Schulmodells, nämlich dass Bildungserfolg maßgeblich von der Herkunft abhängt, enorm verstärken und vielen Kindern in diesem Land Perspektiven verbauen werden.
Doch die soziale Konfliktdimension endet nicht an unseren Staatsgrenzen. Global trifft die Pandemie besonders Entwicklungs- und Schwellenländer stark. Durch die ökonomischen Unsicherheiten, haben Investoren viele Milliarden aus diesen Ländern abgezogen. Nun fehlt dort das Geld, um die meist klammen und oft nur rudimentär vorhandenen Gesundheitssysteme für das Virus zu wappnen. So können leicht Verteilungskonflikte um knappe Medizingüter entstehen, die ohne großes Zutun schnell zu Bürgerkriegen eskalieren können. Diese Gewalt wiederum, wird zweifellos viele dazu zwingen, aus ihrer Heimat zu fliehen. Der verzweifelte Appell des UN-Generalsekretärs Antônio Gutierres nach einem weltweiten Waffenstillstand wurde wie üblich von sämtlichen Konfliktparteien ignoriert. Traurig, dass wir uns nicht einmal in einem solchen Moment, größter Not für die gesamte Menschheit, auf Frieden besinnen können.
Demokratie
Die Demokratie ist ein fragiles Konstrukt. Das wird uns gerade in Krisenzeiten bewusst. Die Verlockungen für die Exekutive, ein größeres Maß an Macht zu besitzen, sind stark. Gleichzeitig sind viele der üblichen Kontrollinstanzen, allen voran die Zivilgesellschaft, mit anderen Sorgen beschäftigt.
Schon seit dem alten Rom hält sich hartnäckig die trügerische Vorstellung, es gäbe einen benevolenten Diktator. In der Römischen Republik war es vorgesehen, dass wenn der Senat zerstritten und dadurch handlungsunfähig war, ein Diktator für 30 Tage eingesetzt werden sollte, der mit umfassenden Befugnissen und zum Wohle der Bürger, die Republik aus der Krise führt. Ein letzter Strohhalm, eine Notstandsordnung, die die politischen Organe der Republik kurzzeitig auflöst. Nur haben die Republikaner vergessen, diesem Diktator mindestens gleichhohe Schranken entgegenzusetzen. Und so war es einer dieser Diktatoren für 30 Tage, der nicht aus Selbstlosigkeit wieder nach getaner Arbeit abdankte, sondern die Machtfülle dafür nutzte, zunächst Konsul und dann Kaiser zu werden. Caesar beendete somit fast 500 Jahre Republik und obwohl er von Anhängern der Republik ermordet wurde, konnten diese den Zustand von früher nicht wiederherstellen, es war zu spät. Kaiser Augustus, der Nachfolger riss alle Macht an sich und die Republik war Geschichte.
Wieso erkläre ich das so ausführlich. Weil sich dieses Vorgehen im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wiederholt hat und auch angesichts der aktuellen Corona-Pandemie zu wiederholen droht. Ein Ausnahmezustand wird immer als Argument dafür genutzt, der Exekutive mehr Befugnisse zu geben d.h. in letzter Konsequenz die Kontrollorgane einer Gewaltenteilung zu schwächen. Es heißt in diesem Kontext immer: Die Krise erfordert schnellere, bessere, umfassendere Entscheidungen. Die üblichen demokratischen Prozesse werden als bürokratisch, schwerfällig und für akute Krisen gänzlich ungeeignet deklariert. Die Selbstoptimierung der Demokratie in einer Krise, wird aber viel zu oft als Vorschub für ihre Abschaffung verwendet. Das zu verhindern ist eine Herkulesaufgabe. Es kann nicht sein, dass ob demokratische Kontrollen nach der Krise wiederhergestellt werden, von der Gutmütigkeit der Regierung abhängt. Wir machen es Autokraten viel zu leicht.
Ungarn ist schon seit langem das Sorgenkind Europäischer Demokrat*innen. Viktor Orban hat mit seinem Modell der „illiberalen Demokratie“, der Gewaltenteilung, dem Rechtsstaat und dem Pluralismus eine Kampfansage gemacht. Die Verunsicherung durch die Corona-Krise wusste er für sich zu nutzen, obwohl Ungarn selbst noch wenige Ansteckungsfälle verzeichnet. Mit seiner parlamentarischen Mehrheit hat er eine Notstandsgesetzgebung verabschiedet, die ihm enorme Macht verleiht und den Ausnahmezustand unbefristet verhängt. So wurde das Parlament faktisch entmachtet. Dieses Vorgehen erinnert an Erdogans Ausrufung des Notstandes nach dem Putschversuch 2016 und an noch schlimmere Beispiele der Geschichte. In Buda-Pest hat nun das Militär die Kontrolle über die Krankenhäuser übernommen, aus welchem Grund weiss niemand. Die Polnische PIS hat die Chance auch genutzt und mal eben das Wahlrecht zu ihren Gunsten geändert. Genau wie der Tschechische Premier, Andrej Babis, der den Pressezugang zu Regierungspressekonferenzen für kritische Medien beschränkt.
Die Corona-Krise hat wiedermal gezeigt, wer Antidemokraten wählt, gefährdet die Gesundheit aller. Besonders verantwortungslos mit dem Virus und dessen Ausbreitung umgegangen, sind die üblichen Verdächtigen. Bolsonaro, Trump und Boris Jonson nahmen die Gefährdung nicht ernst, wollten die Wirtschaft nicht belasten und haben sich sogar über die „Corona-Hysterie“ lustig gemacht. Der wichtigste Berater des Britischen Premiers, Dominic Cummings, der in allen Bereichen durch Hardliner, Rechtsaußen und sozialdarwinistische Aussagen aufgefallen ist, gab die Divise aus, zum Wohle der Wirtschaft alle weitermachen zu lassen und Opfer hinzunehmen. Trumps Anhänger gingen noch weiter und meinten, man solle lieber Rentner opfern als die US-Wirtschaft. Dass Trump selber zu dieser Risikogruppe gehört, haben sie wohl nicht bedacht. Bolsonaro hat in seiner unendlichen Verantwortungslosigkeit, Demonstrationen gegen die Corona-Berichterstattung der Medien abgehalten, was das Virus in den 2 größten Städten Brasiliens, Sao Paulo und Rio erst weit verstreut hat. Sobald die Armenviertel dieser Metropolregionen mit Corona in Kontakt kommen, werden die Zahlen dramatisch steigen.
Leider gibt es auch einzelne Bestrebungen in Deutschland, die Krise zur Machterweiterung zu nutzen. In NRW versucht die Regierung mit einer Art Gesundheitsnotstand, Medizinisches Personal zur Arbeit zu zwingen. Dieses eindeutig verfassungswidrige Gesetz stößt bislang glücklicherweise auf Widerstand von allen Seiten.
Anders auf Bundesebene. Der Bundestag hat vor Kurzem einem neuen Infektionsschutzgesetz zugestimmt, eine Art Ausnahmezustand durch die Hintertür, der dem Gesundheitsminister ungeahnte Befugnisse vermacht. Jens Spahn kann jetzt Gesetze ohne Zustimmung des Bundesrates und per Verordnung in kraftsetzen sowie eigenmächtig Gesetze kippen. Das sind Kompetenzen, die nicht einmal Frau Merkel besitzt. Und der Corona-Kanzler will mehr, nämlich unsere Handydaten abgreifen, personalisiert, flächendeckend und ohne Zustimmungspflicht, um auch Kontaktpersonen von Infizierten ausfindig zu machen. Dass dieser Passus aus dem Infektionsschutzgesetz vorläufig gestrichen wurde, heißt nicht, dass diese ach so harmlose Form des Überwachungsstaates doch nicht bald kommt. Denn mit dem Notstand, lassen sich viele Mittel begründen, die man sonst nie durchsetzen könnte. Expert*innen und Rechtsgelehrte kritisieren die fehlende parlamentarische Kontrolle und sprechen von einer faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung. Der Professor für öffentliches Recht & Rechtsphilosophie Uve Volkmann, erklärte im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Monitor, dass derart weitreichende Befugnisse nur in der Weimarer Reichsverfassung vorgesehen waren. Der nun geänderte §28 Infektionsschutzgesetz greift umfangreich in wichtigste Grundrechte unserer Verfassung, wie Art2 Freiheit der Person, das Versammlungsrecht, die Freizügigkeit und die Unverletzlichkeit der Wohnung ein. Der ehemalige FDP-Innenminister Gerhard Baum spricht von Blanco-Checks an die Regierung, was grundlegend gegen Art80 Grundgesetz verstößt. Aber trotz Allem bleibt der Aufschrei der Zivilgesellschaft aus.
Der Staat wird übergriffig. In den Bundesländern herrscht ein rechtliches Chaos. In Mecklenburg-Vorpommern besteht ein Einreiseverbot, in Berlin eine Ausweispflicht und in Bayern sowie Sachsen ein Verweilverbot. Dabei monieren Staatsrechtler*innen und Verfassungsexpert*innen, dass diese Gesetze offensichtlich gegen geltendes Recht verstoßen. In vielen Bundesländern, berichten Menschen von Hausbesuchen der Polizei, um zu überprüfen, dass sich nur Anwohner in der Wohnung befinden. Dieser Eingriff in den privatesten Raum jedes Menschen ist durch nichts zu rechtfertigen. Die hastig erlassenen Gesetzesänderungen in den Bundesländern haben Formulierungen hervorgebracht, die gelinde gesagt Interpretationsspielraum offenlassen. So obliegt es der Entscheidung der im Einsatz befindlichen Polizisten, wie sie die Gesetzeslage auslegen. Dass viele das als Willkür begreifen, ist nicht verwunderlich. Ein Rechtsstaat braucht Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit jedes Bürgers vor dem Gesetz. Unter diesen Bedingungen, sind beide Aspekte grundlegend ausgehebelt. Diese übergriffigen Gesetze müssen umgehend zurückgenommen werden, egal ob sie aus Dilettantismus oder Opportunismus erlassen worden sind.
Das Sprichwort: „Not kennt kein Gebot“, wird dieser Tage oft zitiert. Doch dieser Ausdruck von Anarchie ist nichts als purer Utilitarismus und legitimiert eine totalitäre Wende des Rechtsstaates. Andersherum sollte man es sehen: „Gebot kennt keine Not“. Denn die Bürger- und Freiheitsrechte; das was dieses Land so lebenswert macht, sollten besonders in Krisenzeiten diejenigen Werte sein, auf die wir uns besinnen. Wir Bürger*innen müssen wachsam sein und unsere Grundrechte einfordern, gerade weil sie jetzt so stark wie lange nicht unter Druck stehen.
Europa
Wie viele Krisen zuvor rüttelt die Corona-Krise gewaltig am Europäischen Haus. Aber wieso? Anscheinend nehmen es viele EU-Länder mit der Solidarität in Krisenzeiten nicht so ernst. Wir fallen abermals in nationale Handlungsmuster zurück.“ Es ist traurig zu sehen, dass sich angesichts eines Virus die alten Spaltungslinien zwischen den Mitgliedsstaaten auftun“ sagte Sven Giegold MdEP der Grünen. Und es stimmt. In der ersten Woche, an der die Corona-Pandemie ganz Europa erreicht hat, haben die Mitgliedsstaaten versagt. Grenzschließungen und Ausfuhrsperren für Atemschutzmasken waren die Maßnahmen, auch unseres Gesundheitsministers. Solche egoistischen und undurchdachten Aktionen, werfen wir immer Trump an den Kopf. Anscheinend handeln wir nicht besser.
Die humanitäre Katastrophe in den Flüchtlingslagern der ägäischen Inseln wird ob der Gefahr einer Massenansteckung durch Corona um einiges dramatischer. Das Lager Moria, das für 3.000 Geflüchtete ausgelegt ist, beherbergt aktuell über 20.000 Menschen. Die sanitären Bedingungen sind unerträglich, einen Wasserhahn teilen sich 1400, ein WC 200 und eine Dusche 280 „Insassen“. Allerlei Krankheiten grassieren dort schon und es ist nur eine Frage der Zeit bis Corona auch Moria erreicht. Besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie unbegleitete Minderjährige (UMF) wollte Deutschland mit anderen EU-Ländern eigentlich aufnehmen. Wegen Corona aber, hat man das ausgesetzt, obwohl die Menschen dort gerade jetzt mehr Hilfe brauchen denn je. Aus politischer Taktiererei, schieben sich die Staaten gegenseitig die Verantwortung zu, während das Elend auf den Inseln wächst. Mit jedem Tag des Wegschauens wird die Europäische Idee von Neuem verraten.
Nicht einmal zwischen den Ländern funktioniert zuweilen das Solidaritätsprinzip. Anstatt das Deutschland Italien bei der Bewältigung des dort akuten Corona-Virus hilft, brüsten sich Russland und China, dass sie Desinfektionsmittel und Schutzmasken geliefert haben. Deutschland lässt ein Dutzend Schwerstkranker ins Land einfliegen und glaubt das reicht. Was für ein Armutszeugnis.
Im ökonomischen Bereich sieht es nicht viel besser aus. Mit Händen und Füßen wehren sich die Staaten des Nordens und Deutschland gegen Corona-Bonds. Diese würden es Italien und Spanien, die am stärksten von Corona betroffenen EU-Länder ermöglichen, Kredite zu besseren Zinskonditionen am Kapitalmarkt aufzunehmen und ihre Gesundheitsversorgung zu verstärken sowie ihre Wirtschaft nach der Krise zu stützen. Doch Deutschland sperrt sich. Die dogmatisch egoistische Haltung mancher Länder zeugt von grenzenloser Dummheit. Denn es ist im ureigensten Interesse Deutschlands, des Exportweltmeisters, starke Absatzmärkte im EU-Binnenraum zu haben. Durch diese Blockadehaltung sind wir auf dem besten Weg die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Nach der Finanzkrise folgte gleich darauf die Staatsschuldenkrise v.a. in Griechenland. Die Gemeinschaftswährung Euro war destabilisiert, ein großer Schaden, auch für Deutschland. Nun steht Italien auf der Kippe und Corona könnte der Stoß sein, der das Land auf die Knie zwingt. Auf Corona folgt die zweite Eurokrise und diesmal mit einem deutlich größeren Land als damals, fatal.
Der italienische Regierungschef Conte richtete sich unlängst in der ARD direkt an die Deutschen, um die Dramatik seines Landes zu verdeutlichen. Eine bemerkenswerte Koalition von Ökonomen aller ideologischer Denkrichtungen, Keynesianer und Neoliberale gemeinsam, appellierten in der FAZ an die Bundesregierung, Corona-Bonds zuzustimmen. Duzende Plädoyers von Intellektuellen, Journalisten, Politikern und Experten wurden in den Zeitungen der letzten Wochen abgedruckt. Nur alles bisher leider ohne Erfolg. Der Niederländische Finanzminister entgegnete sogar, dass die Staaten, die Bonds fordern, doch selber hätten Rücklagen aufbauen können. Eine widerliche Aussage, wie der Portugiesische Regierungschef zurecht anmerkte. Wie hätte Italien auch Rücklagen bilden können? Seit 20 Jahren erfährt das Land kein Wachstum und das aktuelle BIP ist geringer als vor der Finanzkrise. Was wenige wissen, Deutschland und Italien erwirtschaften denselben Primärüberschuss, d.h. Bilanz vor Abzug der Zinsforderungen aus Staatsverschuldung. Genau hier liegt die Ursache des Problems, die der Niederländische Finanzminister aus finanzpopulistischen Erwägungen nicht verstehen will. Italien hat enorme Zinslasten zu tragen, weil es mit einer Gesamtverschuldung von über 130% des BIP, deutlich höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen muss. So fehlt das Geld für Investitionen, um nachhaltig aus der Krise zu kommen. Mit den Corona-Bonds würde sich der Druck auf den Italienischen Haushalt deutlich lindern.
Stattdessen will Scholz nur über den ESM helfen. Dort liegen noch 410 MRD € bereit. Das Problem ist, dass dieser Rettungsschirm aus Zeiten der Eurokrise nach dem Prinzip goldener Zügel agiert d.h. ein strikter Sparkurs auferlegt wird. Darüber hinaus ist die Nutzung des ESM bei Investoren mit einem großen Stigma behaftet. Das gerettete Land gilt somit als instabil, was Investoren abschreckt. Die Niederlande wollen sogar nur eine Art Almosenfonds in Höhe von 25 MRD € einrichten lassen, ein völlig unzureichender Betrag mit einem faden Beigeschmack. Die EU hat ein Europäisches Kurzarbeitsprogram namens SURE aufgesetzt und die EZB das PEPP Anleihekaufprogram um 750 MRD € erweitert. Mehr Handhabe hat die Kommission nicht, denn die meiste Entscheidungsbefugnis hierbei obliegt den Mitgliedsstaaten und das erschwert alles.
Die Pandemie hat die Sprengkraft, die Ungleichheiten zwischen den EU-Ländern zu verstärken. Wenn wir das nicht verhindern, könnte Europa daran scheitern. Salvini, le Pen, Orban und co. würden sich die Hände reiben. Es wäre ein Leichtes für sie, Ressentiments gegen die EU zu verbreiten und die Akzeptanz der Bürger*innen in Europa endgültig zu vernichten. Die spanische Regierung meldet, dass die Zahl der Arbeitslosen im März um 300.000 Menschen gestiegen ist und das war noch der Anfang. Die Länder mit den größten Infektionszahlen und v.a. den höchsten Sterberaten, die sowohl in Italien als auch in Spanien bei über 10% liegen, sind gleichsam die Länder, denen es wirtschaftlich schlecht geht. Die Privatisierungen weiter Teile des Gesundheitssystems, Auflagen in der Eurokrise, erweist sich als fatal. Diese Länder des Mittelmeerraumes, die am stärksten unter Corona leiden und am wenigsten Geld haben, um die Krise zu bekämpfen, kommen nicht alleine wieder zu Kräften. Der Vergleich zwischen den Konjunkturprogrammen der Länder zeigt, dass sich die Probleme des Südens potenzieren werden. Deutschland hat Rücklagen dank 10 Jahre Wachstums und kann sich ein großes fiskalpolitisches Paket leisten, Frankreich etwas weniger und Italien und Spanien praktisch nicht. Es fehlt schlichtweg das Geld in den Staatskassen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Kredite für Unternehmen auszugeben oder für sie zu bürgen.
All das spielt zusammen und lässt befürchten, dass ohne echte Europäische Solidarität, Spanien und Italien nicht aus dieser Wirtschaftskrise werden kommen können. Das V-Szenario für Deutschland, das ich am Anfang beschrieben habe, ist mit viel Geld unterfüttert. Das L-Szenario wird für Conte und Sanchez indes leider immer wahrscheinlicher. Europa ist ein Versprechen, dass schon viel zu oft von eigennützigen Regierungen mancher Mitgliedsländer gebrochen wurde. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich diese Enttäuschung wiederholt.
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