Tino Schlagintweit – ein Jahr 2. GRÜNER Bürgermeister
Ein Interview von Kathrin Ungar, Ortsvorstand BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lieber Tino, ein Jahr ist jetzt vergangen, seit Du zum 2. Bürgermeister gewählt wurdest! Ich möchte mit Dir eine kurze Bilanz ziehen. Was war Deine überraschendste Erfahrung in dieser Zeit?
Ich würde sagen: Ein Ortstermin wegen Lärmbelästigung. Da ging es aber nicht um Verkehr oder Industrieanlagen, sondern um eine neue ökologische Ausgleichsfläche! Ein Bürger befürchtete ständige Ruhestörungen durch die Wechselkröte. Aber wir konnten seine Bedenken weitgehend ausräumen, indem wir die Pläne genauer erläuterten: Dichte Sträucher würden das Konzert in den zwei, drei betreffenden Monaten im Jahr schon dämpfen.
Du bist also Anlaufstelle für alle möglichen Sorgen und Nöte?
Wie Christoph Böck und Annegret Harms auch. Das gehört zu unseren Aufgaben, wir wollen immer für die Bürger*innen ansprechbar sein. Deshalb haben wir letztes Jahr auch die kleine Kampagne „Für Sie da“ gestartet. Die Idee war, dass sich die Bürger*innen gleich an den passenden Bürgermeister für ihr Anliegen wenden können.
Was sind denn die passenden Anfragen für Dich?
Alles, was mit Umwelt, Klima, Verkehr und nachhaltiger Stadtentwicklung zu tun hat. Meist geht es um ganz konkrete Sachen. Zum Beispiel, wenn jemand dauernde störende Überflüge meldet. Da reicht eine kurze Recherche und die Entwarnung: Das sind Vermessungsflüge, ist bald vorbei. Ein anderes Mal stört sich jemand an lärmenden Bussen an der Haltestelle oder an schlecht durchlüfteten Hochhaus-Aufzügen. Da sind dann ein paar Telefonate oder Emails bei Betreibern und Hausverwaltern nötig. Komplizierter wird es, wenn Dinge ins Spiel kommen, die außerhalb der Stadt liegen.
Was hat es damit auf sich?
Ein Beispiel ist die Anfrage eines Landwirts, der das Grüngut vom Wertstoffhof als Einstreu für die artgerechte Rinderhaltung verwenden möchte. Bislang wird alles zum Kompostieren nach Ismaning gefahren. Sinnvoller wäre, das Grüngut bei uns zu verwerten, um so Sprit und Kunstdünger einzusparen. Das Abfallrecht und Verträge mit den anderen Landkreiskommunen machen das aber schwierig. Ich denke, wir finden da noch eine Lösung.
Was ist eigentlich Deine Hauptaufgabe?
Ganz einfach: den ersten Bürgermeister im Amt vertreten. Zum Beispiel hatte ich schon ein paar Mal Urlaubsvertretung. Das sind dann auch die Zeiten, in denen ich am meisten Kontakt zur Verwaltung habe und detaillierte Einblicke bekomme, wie die Stadt funktioniert. Jeden Tag gibt es viele Dinge zu besprechen und zu entscheiden.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem 1. Bürgermeister Christoph Böck und mit der Verwaltung?
Sehr kollegial und konstruktiv. Aber nicht nur mit ihm, sondern auch mit unserer 3. Bürgermeisterin Annegret Harms. Wir treffen uns alle 14 Tage zu einer morgendlichen Beratungsrunde. Das ist ein Novum in der neuen Amtsperiode und Ausdruck und Basis unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Hilfreich ist dabei, dass ich wegen der Altersgrenze bei der nächsten Wahl kein zweites Mal gegen Christoph Böck antreten kann. Es gibt also keine Konkurrenz.
Aber auch mit den Mitarbeiter*innen der Verwaltung habe ich nur gute Erfahrungen. Ich stoße immer auf offene Ohren und bekomme kompetente Auskünfte und freundliche Unterstützung, besonders von Frau Eschler im Büro des Bürgermeisters.
Welchen Unterschied macht es, dass der 2. Bürgermeister ein Grüner ist?
Manchmal sind das Details. Zum Beispiel fiel mir beim Abzeichnen von Unterlagen auf, dass die Geothermie ziemlich viel Strom verbraucht. Ungefähr eine Menge, die einem Zehntel der gewonnenen Wärmeenergie entspricht. Unser externer Betreiber bezieht aber keinen Ökostrom. Wir fördern also saubere Wärme mit schmutzigem Strom. Das wollen wir jetzt ändern. Mit meinen Anregungen hat auch zu tun, dass Unterschleißheim Consul bekommt. Das ist eine neuartige digitale Plattform mit der Bürger*innen nicht nur Vorschläge machen und diskutieren, sondern auch zuverlässig darüber abstimmen können. Ich denke, dass ich durch viele solche Anregungen, durch meine Position und Gespräche innerhalb der Verwaltung zu einer Art Klimawandel beitragen kann. Dass also Themen wie Radverkehr, Baumschutz, Bürgerbeteiligung oder nachhaltige Stadtentwicklung allmählich mehr Gewicht bekommen.
Aber viele Bürger*innen wollen jetzt und hier mehr Grün in der Politik!
Ein Bürgermeister ist an Beschlüsse gebunden. Entsprechend sehe ich mich hier eher als Stadtrat gefordert. Zum Beispiel habe ich mich neulich stark für eine bessere Fußgänger- und Radler-Anbindung ans Koryfeum eingesetzt – mit vielen Ortsterminen, Diskussionen und sogar einem selbst ausgearbeiteten Entwurfsplan. Ziel war, ein bisschen Baurecht zurückzunehmen um den nötigen Platz zu gewinnen. Das wäre aber sehr teuer und langwierig geworden. Und warum? Weil der Stadtrat die vermeintlichen Sachzwänge vor Jahren mit dem Bebauungsplan selber geschaffen hatte. Man war eben bereit, für noch mehr Gewerbe und Verkehr öffentliches Grün und Spielfläche zu opfern. Nur Grüne und ÖDP stimmten damals dagegen. Ich bin froh, dass wir jetzt eine deutlich stärkere grüne Fraktion haben.
Viel Kritik gab es für die Rodungen im Friedhof. Hättest Du das nicht verhindern können?
Hier gilt das Gleiche: Das war ein Beschluss des Stadtrats. Ein zweiter Bürgermeister kann den nicht einfach aushebeln. Übrigens ist das ein gutes Beispiel, wo wir in Zukunft über die Consul-Plattform die Meinung der Bürger*innen einholen können – bevor Beschlüsse und Bäume fallen.
Übernimmt der zweite Bürgermeister auch feste Aufgaben?
Ja, in meinem Fall ist das die Mitgliedschaft im Beirat für interkulturelles Zusammenleben und Migration, im Team Agenda21 und im Sport- und Vereinsbeirat. Hinzu kommen die Vorstandsfunktionen im Verein Dachauer Moos und Heideflächenverein. Bei letzterem haben wir zum Beispiel gerade eine Klage vorbereitet gegen die Bundesrepublik. Es geht da um Schadensersatz in Millionenhöhe wegen der Kampfmittelräumung in der Fröttmaninger Heide. Eine weitere interessante Aufgabe als zweiter Bürgermeister sind die Referentengespräche.
Was ist das und was wird da besprochen?
Da treffen sich der erste Bürgermeister und Fachleute, teils externe, teils aus der Verwaltung mit den Fachreferenten aus den Stadtratsfraktionen. In den oft mehrstündigen Gesprächen geht es zum Beispiel um die Finanzplanung, Stadtentwicklung oder konkrete Bauvorhaben. Obwohl ich eigentlich nur Umwelt- und Verkehrsreferent bin, werde ich als zweiter Bürgermeister doch zu allen Referentengesprächen eingeladen.
In der Öffentlichkeit sieht man dich nicht so oft. Wie kommt das?
Das liegt vor allem am Amt selbst, so wie es die Gemeindeordnung vorsieht. Es ist eben keine Profilierungs-Plattform, sondern ein Dienst für Stadt und Bürger*innen. Und dann spielt natürlich Corona eine Rolle: repräsentative öffentliche Auftritte fallen fast komplett weg. Da gab es letzten Sommer nur die Eröffnung des Lohhofer Bahnhofs – in ganz kleiner Runde. Besonders schade ist auch, dass es seit über einem Jahr praktisch keine Feste und Veranstaltungen gab. Online-Treffen sind halt nicht besonders gesellig.
Wie funktioniert das bei den traditionellen Geburtstagsbesuchen?
Meist bleibt es bei einem kurzen Glückwunsch an der Haustüre oder im Treppenhaus, immer mit Maske und auf Abstand. Das ist furchtbar unpersönlich und für die oft sehr betagten Jubilare ziemlich anstrengend. Trotzdem ergab sich letzten Sommer ein längeres, sehr nettes Gespräch mit der Witwe des bekannten Unterschleißheimer Grafikers Herbert Post. Dabei entstand die Idee für eine Skulptur, die den Künstler würdigen soll. Inzwischen hat der Kulturausschuss das bewilligt, der Standort ist noch offen.
Aber Trauungen darfst du nun vornehmen?
Ja seit kurzem. Das ist eine bayerische Besonderheit. Ein kleiner Lehrgang und ein Stadtratsbeschluss, dann ist der Bürgermeister eine Art „Standesbeamter light“. Das Schöne daran: Man muss sich nicht um das formale Drumherum kümmern, sondern kann sich auf den schönsten Teil konzentrieren. Erst vor ein paar Tagen hatte ich meine ersten beiden Trauungen – an einem Brückentag. Das war natürlich ein schönes Symbol für die Paare!
Hat sich in diesem Jahr für dich privat etwas verändert?
Ja, zum einen habe ich meine freiberufliche Tätigkeit deutlich zurückgefahren. Zum anderen nehme ich die Stadt ganz anders wahr. Mittlerweile gibt es kaum noch einen Winkel in der Stadt, der mich nicht an irgendetwas erinnert, mit dem ich zu tun hatte oder das noch zu erledigen wäre. Das Amt ist eben immer präsent …
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