111 Tage im Amt – eine erste Bilanz des 2. Bürgermeisters

Wie ist der Alltag eines 2. Bürgermeisters? Was braucht Unterschleißheim um lebens- und liebenswerter zu werden?

Vor 111 Tagen wurde Tino Schlagintweit zu Unterschleißheims 2. Bürgermeister gewählt. Zeit für eine erste Bilanz. Vorstandsmitglied Helmut Göbel sprach mit dem engagierten Umweltschützer und passionierten Liegerad-Fahrer.

Tino, Du bist jetzt seit 111 Tage im Amt – wie fühlt sich das für Dich an? Nicht viel anders als am hundertsten Tag… Aber im Ernst: in meiner neuen Funktion als zweiter Bürgermeister und als Stadtratsmitglied fühle ich mich sehr wohl. Interessant sind für mich vor allem die vielen Begegnungen mit anregenden Leuten.

Wie ist es direkt in das Amt des zweiten Bürgermeisters in eine Krise wie der aktuellen Pandemie zu starten? Das eine hat mit dem anderen eigentlich nicht allzu viel zu tun. Den größten Effekt hatte Corona wohl mittelbar über den Einbruch bei der Gewerbesteuer. Es gab viele Diskussionen in Referentengesprächen und im Stadtrat über mögliche Kürzungen im Haushalt und Sparmöglichkeiten wie bei beim Neubau der Michael-Ende-Schule, dem neuen Vereinsheim für das Rote Kreuz und dem Umbau des Feuerwehrhauses. Ansonsten beschränkten sich meine persönlichen Corona-Erfahrungen auf meine beiden Teilnahmen am Corona-Arbeitskreis der Verwaltung und auf die Maskenpflicht im Rathaus. Übrigens erleichtert die Maskenpflicht das Kennenlernen der vielen Mitarbeiter nicht gerade.

Foto: Jolanta Wrobel

Wie sieht Dein Alltag als 2. Bürgermeister aus? Es gibt keinen Alltag: Neben meinen freiberuflichen und privaten Verpflichtungen werde ich eben aktiv, wann und wo man mich braucht, sei es für eine Bahnhofseröffnung, das Vorstandstreffen eines kommunalen Verbandes, Bürgeranfragen oder als Gratulationsbote für Senioren. Hinzu kommen die Referentengespräche mit dem Bürgermeister und Verwaltungs- und Stadtratsvertretern. Einen gewissen Büro-Alltag hatte ich bisher  nur während meiner beiden Urlaubsvertretungen des Bürgermeisters: Morgens Kontrolle und Unterzeichnung von Verwaltungsvorlagen, am späten Vormittag Seniorenbesuche, danach Post und Fachpresse, Besprechungen innerhalb der Verwaltung – das alles gut getaktet und vorbereitet von Frau Manzl im Bürgermeisterbüro.

Konntest du schon Einblicke in die Verwaltung der Stadt gewinnen? Ja, ich hatte mit einigen Fachabteilungen etwas mehr zu tun, und natürlich mit der Schaltzentrale, dem Bürgermeisterbüro. Und ich muss sagen: Der Blick in den Maschinenraum der Stadt ist beeindruckend, auch wenn ich noch die wenigsten Abläufe kenne oder gar durchschaue. Ich sehe viele freundliche, engagierte und professionell kooperierende Menschen. Ein bisschen erinnert mich das an den Fliegerspruch: Das Flugzeug fliegt eigentlich wunderbar, solange der Pilot nicht störend eingreift. Gemeint sind damit natürlich allzu ruppige Steuerbewegungen. Einen so komplexen Apparat wie eine Stadt elegant zu lenken – das ist schon eine Kunst.

Foto: Bernhard Quitterer

Du bist seit vielen Jahren ein engagierter Umweltschützer. Inwieweit konntest Du Deine Erfahrungen in Deine Arbeit als Stadtrat und 2. Bürgermeister einbringen? Mein Spielraum als Stellvertreter ist naturgemäß nicht allzu groß. Wie übrigens auch der erste Bürgermeister keine freie Hand hat und an den Stadtrat gebunden ist. Dennoch glaube ich, durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Christoph Böck, die sich in unseren Treffen alle 2 Wochen bereits abzeichnet, einen gewissen Einfluss zu bekommen. Wichtiger ist aber die Möglichkeit, durch die Stadtratsarbeit Themen zu setzen. Ein Beispiel war unsere Forderung, die Stadt möge sich zwar für verbesserten Lärmschutz und Tempolimit auf der A92 einsetzen, den 6-spurigen Ausbau aber ablehnen, der ja nur weiteren Verkehr anziehen werde. Die Diskussion daraufhin machte wieder einmal deutlich, wie weit wir noch von einer echten Verkehrswende entfernt sind, die das Auto nicht mehr krass begünstigt.

Was braucht Unterschleißheim um in deinen Augen lebens- und liebenswerter zu werden und was willst du als zweiter Bürgermeister voranbringen? Der Schwerpunkt der Stadtentwicklung muss sich eindeutig mehr auf Wohn- und Lebensqualität richten. Dazu gehört nicht nur eine radler- und fussgängergerechte Verkehrsplanung, sondern auch bessere Aufenthaltsqualitäten im Freien, in der Natur. Wir müssen uns freiwillige Grenzen setzen, wo genau und warum weitere Bebauung unterbleiben muss, und was stattdessen passieren soll. Darum habe ich zusammen mit dem Bund Naturschutz vor ein paar Jahren die Idee für den Moos-Haide-Park entwickelt. Mit seinem Neben- und Miteinander von Landwirtschaft und Erholung sichert er, gleichsam vor der Haustür, den notwendigen ökologischen und mentalen Ausgleich zur sonstigen Intensivnutzung unserer Flächen. Der Moos-Haide-Park wäre eines der ganz wenigen Beispiele für Planungshoheit, die nicht bloß den aktuellen Gewinn für die Gemeindekasse und die Grundstücksbesitzer im Blick hat, sondern auch den Nutzen für kommende Generationen – in Form von Erholung und Lebensqualität. Nicht anders war das im Kleinen beim Valentinspark. Es würde mich freuen, wenn ich dazu beitragen könnte, dass das auch im Großen klappt.

Foto: Markus Neumann

Welchen Beitrag kann Unterschleißheim leisten um klimaneutrale Kommune zu werden? Der wichtigste bisherige Beitrag der Stadt ist wohl die Geothermie: Der Ausbau ihrer Kapazität durch eine Wärmepumpe ist bereits auf dem Weg. Stärker als bisher sollte die Stadt bei eigenen Bauprojekten auf Niedrig-, Null- oder gar Plusenergie-Standard setzen, auch wenn das oft teurer ist. Genauso bedeutend, wie der CO2-Fußabdruck des fertigen Gebäudes ist der oft übersehene der Herstellung. Darum sollten wir künftig konsequent moderne industrielle Holzbauweise nutzen. Ansonsten geht es vor allem um Anreize und Information für die Bürgerinnen und Bürger: Ob Ladesäulen für E-Autos, Kleinbusnetz, Radverbindungen oder Unterstützung bei der Gebäudesanierung – da gibt es überall Luft nach oben.

Du bist begeisterter Liegerad-Fahrer. Hast Du andere Stadträtinnen und Stadträte schon davon überzeugen können? Das hatte ich nie vor. Schon eher würde ich die Werbetrommel für die Kombination E-Bike mit Anhänger rühren. Das spart wirklich viele Einkaufsfahrten mit dem Auto und ist sogar komfortabler – so von Tür zu Tür.

Tino, warst Du in diesem Sommer schon in Urlaub oder steht der noch bevor? Wo warst Du bzw. wo soll es hingehen? Ich war gerade zwei Wochen mit meiner Frau im Chiemgau: wandern, radeln, lesen, grillen, chillen. Für die letzten schönen Tage soll es dann an den Hollerner See gehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch, Tino.

 

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